„Ein Mixtape für dich“
Wer kennt ihn noch, den Bandsalat? Damals, als man die obligatorische Gute-Nacht-Geschichte zum Einschlafen hörte, oder mit dem Kassettenrekorder musikalische Liebesbotschaften für den Schwarm aufnahm. Ein Tape mit Musik zu bespielen hat Zeit gekostet. Egal ob die akribische Auswahl einzelner Lieder oder das Vor – und Zurückpulen bis zur richtigen Stelle. So vieles musste beachtet werden. Am Ende jedoch war alles perfekt aufeinander abgestimmt und die Kassette mit einem handgeschriebenen Titel versehen. Adressiert an eine bestimmte Person oder Ausdruck eines erlebten Gefühls. Immer wieder ließ sie sich optimieren und mit neuen musikalischen Erinnerungen befüllen. Ein Medium, das auch Charly Hall wieder für sich entdeckte.
Passend zum 50. Jubiläum der Kassette gründete er 2013 das Musik-Label “Greatberry Tapes”. Benannt wurde es nach der „Großbeerenstraße“ im Herzen von Kreuzberg, Nähe des Viktoriaparks. Die Tatsache, dass die Kassette so wenig Beachtung in Deutschland fand, veranlasste Charly Hall dazu sein eigenes “Kassettenprojekt” ins Leben zu rufen. Dazu kam die Neugierde einfach etwas zu wagen und der Kreativität freien Raum zu lassen. In Zeiten der Digitalisierung, die vor allem auf dem Musikmarkt deutlich wird, fokussiert sich Charly gemeinsam mit Geschäfspartner Akis Tsirogiannis hauptsächlich auf Künstler und Bands, die wie sie gegen den Strom schwimmen und analoge Veröffentlichungen bevorzugen.
In einem Interview verraten uns die Beiden, welche Erinnerungen sie mit dem Tape verbinden …
Wie habt ihr und die Kassette wieder zueinander gefunden?
Charly Hall: Als ich ein Mixtape für jemanden aufnahm. Ich fing an meine Musiksammlung zu durchstöbern, auf der Suche nach den passenden Songs. Einige Tage später hatte ich eine grobe Playlist skizziert, tauschte aber immer wieder Lieder aus, veränderte die Reihenfolge. Und irgendwie wollte ich einen Teil von mir auf Band festhalten. Dazu gehört natürlich auch meine Heimat. Berlin. Also ging ich mit einem Aufnahmegerät an die Orte, die mir wichtig waren und nahm all die Stadtgeräusche auf. Ich habe damit viel Zeit verbracht, ich war wie in einem Rausch.
Welche Orte hast du besucht, um „den Sound der Stadt“ auf Band zu bekommen?
Charly Hall: Ich nahm in der Straße auf, in der ich aufgewachsen bin und um Mitternacht auf dem Nationaldenkmal im Viktoriapark. Der Blick von dort auf die Stadt ist traumhaft schön und weckt viele alte Erinnerungen und Gefühle. Es scheint, als würde die Welt für einen kurzen Moment stillstehen.
Und wie ging es weiter, nachdem das Mixtape fertig war?
Als das Tape dann mit all den Liedern und Stadtgeräuschen aufgenommen war, legte ich die Kassette in eine Hülle. Da wurde mir klar, dass diese nicht leer bleiben kann. Also gestaltete ich Cover und Booklet. Ich nannte das Mixtape „Du und Ich“. Vermutlich, hat es niemand außer mir je gehört.
Welche Erinnerungen verbindet ihr allgemein mit der Kassette?
Charly Hall: Na klar, Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg begleiteten auch mich durch meine Kindheit. Es waren also eher die Gute-Nacht-Geschichten, die mich prägten. Aber natürlich habe ich damals auch schon das ein oder andere Mixtape mit meinen Lieblingssongs aufgenommen, um sie immer und überall bei mir zu haben. Wir sind damals auch viel mit dem VW-Bus meiner Mutter verreist. Auf der Fahrt lief immer eine Kassette. Ich erinnere mich da an Guns`n Roses und R.E.M. oder die Rolling Stones. Erstaunlich ist, dass ich genau diese Musik noch heute sehr mag.
Akis Tsirogiannis: Die Kassette war ununterbrochen immer da. Angefangen als Kleinkind, als ich statt Märchen lieber Musik aufnahm, bis hin zum Teenager-Alter, wo man fleißig das Aktuellste aus dem Radio mitschnitt. Heute erstellt man ganz selektiv eigene Sampler oder Mixtapes. Die direkte Assoziation zu der Zeit, in der man bestimmte Kassetten aufgenommen hat, schafft einen ganz persönlichen Draht zu dem Tape. Man fühlt damals Erlebtes nach, verarbeitet und reflektiert es nochmal.
Was hat die Kassette für Vorteile gegenüber anderen Medien?
Akis Tsirogiannis: Ein Vorteil ist, dass man das Tape einlegt und einfach hinhört, anders als bei Playlists. Hier wird ständig weggeklickt. Man hat einen ganz anderen Respekt vor Medien, wie Kassetten oder Schallplatten, man lässt ihnen Raum und Zeit. Eine Abwechslung und Rückbesinnung, gerade heute, wo alles immer schnelllebiger und hektischer wird.
Charly Hall: Eine Kassette ist etwas sehr Persönliches. Man bespielt sie mit Songs, die einem viel bedeuten. Und der Klang ist nach Jahrzehnten immer noch hervorragend. Die Hülle kann kreativ gestaltet werden, etwa mit einer persönlichen Widmung. Die Kassette ist wie eine Mischung aus Tagebucheintrag, Fotoalbum und privaten Videoaufnahmen. Da steckt so viel drinnen. Das Schöne ist, dass solche Mixtapes oft viele Jahre später wieder zum Vorschein kommen und auch nach Jahrzehnten immer noch einen hervorragenden Klang haben.
Also sind Kassetten Tonträger für die Ewigkeit?
Charly Hall: Ja, definitiv. Neulich erst, habe ich eine alte Kassette mit der Aufschrift „Zeiten voller Hoffnung“, in irgendeiner verstaubten Kiste gefunden . Geschrieben in roter Tinte von meiner Mutter. Ihre Schrift erkenne ich sofort wieder. Ich hatte kein Ahnung, was sich auf dem Tape befand und habe sie aus Neugier gleich komplett durchgehört. Das brachte viele Kindheitserinnerungen zurück, ich befand mich ganz plötzlich wieder in der Altbauwohnung, in der ich aufwuchs. Ein langer sonnendurchflutete Flur und an einem warmen Nachmittag im Sommer. Das war einer der Kassetten, die wir damals immer auf Reisen mit hatten. Vor etwa 20 Jahren.
Wie kam es eigentlich zu der Namensgebung des Labels?
Einem Menschen oder einer Sache Namen zu geben ist ja immer so ne Sache. Es ist einfach verdammt schwierig. Der Name „Greatberry Tapes“ kam mir zufällig in den Sinn. Ich war gerade aus New York zurück und spazierte durch meinen Kiez und sah das Straßenschild auf dem „Großbeerenstraße“ stand. In diesem Moment musste ich daran denken, dass in vielen Songs verdammt coole Straßennamen vorkommen. Die klingen dann irgendwie so verheißungsvoll und man fängt sofort an seine Gedanken schweifen zu lassen. Deutsche Straßen klingen meist recht öde. Deshalb wurde aus „Großbeeren“ ,“Greatberry“. Zunächst war ich mir aber gar nicht sicher, ob der Name gut ist. Irgendwie wird ja heutzutage alles ins Englische übertragen. Ich bin da ehrlich gesagt kein Fan von. Aber in diesem Fall hat es einfach gepasst.
Welche Bands veröffentlichen auf „Greatberry Tapes“ ihre Projekte?
Charly Hall: Bisher haben wir zusammen mit Jeans Team ihr Album „Kopf Auf“ veröffentlicht. Das Jeans Team war von der Idee sofort begeistert und gleich mit im Boot. Wir haben da viel positives Feedback bekommen. Derzeit arbeiten wir mit zwei sehr interessanten Berliner Bands zusammen und hoffen, dass wir demnächst unsere nächste Veröffentlichung bekannt geben können. Interessant ist, dass wir uns als Label auf keinen Musikstil festlegen wollten, zumal Akis und ich auch einen sehr unterschiedlichen Musikgeschmack haben. Und dennoch kristallisiert sich so langsam eine Richtung heraus, ganz unbewusst. Aber es ist nicht leicht Bands zu finden, die genügend Material für eine Veröffentlichung haben und gleichzeitig bei keinem anderen Label unter Vertrag stehen. Deshalb sind wir immer auf der Suche nach Bands, die Lust auf eine Zusammenarbeit haben.
Wie ist denn die Qualität auf Kassetten, gibt es da Einbüßungen?
Charkly Hall: Das Medium Kassette bietet eine hervorragende Qualität. Am Ende hängt es aber natürlich auch von den verwendeten Geräten ab. Da gibt es im Grunde keine Unterschiede zur Vinyl, CD oder zur digitalen Musik.
Akis Tsirogiannis: Die Qualität kann von Deck zu Deck variieren. Da gibt es in der untersten Preisklasse Kinder- und Combi-Anlagen aus Plastik, die nicht gerade hochqualitativ klingen und sich auch nicht an die eigentlichen technischen Vorschriften halten, die nötig sind um eine Kassette gut klingen zu lassen. Dann folgen die Mittelklasse-Decks, die eine ziemlich gute Qualität bieten und dann noch sehr hochwertige Decks mit mehreren Tonköpfen, die letztendlich kaum einen Unterschied zur Originalquelle erkennen lassen – jedenfalls akustisch. Wenn technisch alles stimmt, die Spurlage, die Vormagnetisierung und das entsprechende Band, klingen Kassettenaufnahmen wunderbar und sind definitiv immer noch Hi-Fi-tauglich. Allerdings haben Leute selten etwas mehr Geld ausgegeben um dann was hochqualitatives zu bekommen – das gleiche Phänomen kann man heutzutage in der Qualität der Touchscreens, etwa bei Smartphones, beobachten und das war bzw. ist bei Plattenspielern nicht anders.
Wie rechnet ihr euch die Chancen auf dem Musikmarkt aus?
Charly Hall: Die Frage stellt sich uns gar nicht, weil es hier nicht um Chancen oder so etwas geht. Wir sehen das als Experiment. Wir freuen uns, wenn Leute auf uns aufmerksam werden und durch uns gute neue Musik kennenlernen und das Medium Kassette für sich neu entdecken. Aber es geht auch um Spaß. Uns macht es Freude mit Kassetten zu arbeiten und um die Musik herum das Artwork und die Verpackung zu gestalten. So ein Experiment hat aber immer ein offenes Ende, es kann auch schief gehen. Wenn sich niemand dafür interessiert zum Beispiel. Was „schief gehen“ in unserem Fall heißen würde, weiß ich aber gar nicht so genau.
Kosten?
Akis Tsirogiannis: Wir verkaufen unsere Tapes für etwa 10€. Manchen mag das viel erscheinen, aber da steckt ne Menge Handarbeit dahinter und das Aufnehmen kostet viel Zeit. Im Grunde wären die Herstellungskosten nicht so hoch. Ich bin aber Perfektionist und lege bei allen verwendeten Materialien Wert auf hohe Qualität. Für das Booklet verwenden wir zum Beispiel 300g Recyclingpapier, während andere Labels das billigste vom billigsten nehmen. Ich mache in solchen Dingen aber ungerne Abstriche, denn am Ende soll ja ein Produkt stehen, das man selber gerne in der Hand hält.
Ihr seid auch Tape-Fan? Dressed Like Machines verlost gemeinsam mit „Greatberry Tapes“ ein kleines Kassetten-Package. Und zwar das Album „Kopf auf“ von Jeans Team. Schreibt uns einfach eine Mail mit dem Betreff „Tape“ an postfach@drlima.net. Teilnahme ist wie immer ab 18.