Nisse im Interview über Kobolde, Louis Vuitton & Berliner Mädchen

04.12.2015
Sophie Krause
Interviews, Music, Video

Nisse ist der, der Anfang September sein Album „August“ veröffentlicht hat. Der, der in Visa Vie`s Show „Zum goldenen V“ dort spielte, was bei Circus Halligalli der Schrank ist. Und der, der seit Album-VÖ in vielen Interview gefragt wurde, ob das was er da macht, eigentlich noch Rap oder schon Pop ist.
Mir egal, was es ist, denn wenn es klingt wie die 13 Tracks auf diesem Debütalbum, dann hat da jemand ziemlich viel richtig gemacht.

Ich habe Nisse an einem Nachmittag im November zum Kaffee in Kreuzberger Koffäin getroffen.

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Traditionelle Einstiegsfrage: Was hast du heute schon gegessen?

Ich war im Zweistrom in der Kollwitzstraße, das ist ein Schawarma- & Falafel-Laden, wo ich einen Falafelteller hatte. Ich habe viel Wasser getrunken und das hier ist mein erster Kaffee. Hätte ich heute zu Hause gefrühstückt, hätte es wahrscheinlich ein Müsli gegeben. Aber weil ich so viel unterwegs bin und auch immer ewig lange im Studio abhänge, ist das mit dem Essen meist ziemlicher Freestyle. So eine unregelmäßige Ernährung ist wahrscheinlich nicht unbedingt gesund, aber ich fühl mich ganz ok. (lacht)

Fangen wir mal ganz vorne an: was hat dein Name für eine Bewandtnis? Wusstest du, dass in Nordeuropa Kobolde gibt, die genauso heißen?

Meine Eltern nennen mich so. Dass mit den Kobolden ist mir bekannt. Da gibt es ganz verschiedene. Den Jule-Nisse z.B. oder nur den Nisse, manche sind eine Ableitung vom Nikolaus, andere wiederum sind nur diese Fabelwesen. Aber eigentlich sind alle irgendwie Karma-Kobolde und bringen Gerechtigkeit oder Bestrafung in die Welt. Leuten die sich schlecht benehmen, spielen sie Streiche, verrücken Sachen und verwirren die Leute so ein bisschen. Das ist die Übernahme vom Nikolaus oder wie wir den Weihnachtsmann mit der Rute kennen. Und bei den Leuten die sich gut verhalten, die herzlichen Menschen, denen hilft der Nisse – füttert die Tiere, passt auf das Haus auf, beschenkt die Kinder. Ich kenne diese Geschichten seit ich klein bin. Wobei das alles aber nichts mit meiner Musik zu tun hat.

Aber deine Eltern müssen ja Gründe haben, dich so zu nennen…

Vielleicht sind sie Astrid Lindgren Fans, in ihren Geschichten gibt es ja auch viele Fabelwesen.

Ich dachte, dass sich Nisse vielleicht aus deinem Vornamen ableitet. Aber leider habe ich online keine Infos zu deinem bürgerlichen Namen gefunden.

Sagen wir, es ist mein richtiger Name. Ich will es dir gar nicht so schwer machen, aber viel mehr Wahrheit gibt es da gar nicht. Ich heiße halt so.

Ach so, echt? (lacht) Ich hab es nicht gecheckt, sorry. Dachte, dass wäre nur dein Künstlername.

Mein Vorname ist Nisse. (lacht)

Gut, dann tun wir mal so, als wäre nichts gewesen und machen einfach weiter: wann sind die ersten Songs für das Album „August“ entstanden, dass du im September über Four Music veröffentlich hast?

Der älteste Song ist ca. 8,5 Jahre alt, fast genau so lange habe ich auch an dem Album gearbeitet. Ich wollte erst meine eigene Sprache und meine Stimme finden und wollte, dass ich mich selbst anhören kann. Ich glaube, dass viele Leute zu früh mit dem ersten Gefühl, das sie haben, raus gehen. Oft fehlt dann meiner Meinung nach der Wiedererkennungswert, viele haben noch keine richtige Identität und sie klingen nach anderen Leuten, an denen sie sich orientiert oder von denen sie unterbewusst beeinflusst wurden. Das wollte ich bei mir vermeiden. Klar, gibt es immer Leute die sagen, das klingt ein bisschen nach dem und dem, aber um es für mich im Detail zu spezialisieren, mich selbst zu finden, habe ich mir die Zeit genommen, die es brauchte, bis ich so zufrieden war, dass ich mit den Songs raus gehen wollte.

Du hast dich mit einer Demo bei Four Music beworben. Wie viel wurde fürs Album übernommen?

Das Album, so wie es draußen ist, entspricht 1:1 meiner Vorstellung. Vor 2,5/3 Jahren hatte ich das Gefühl so weit zu sein, um damit raus zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich an die 100 Songs parat. Also habe ich mich auf die Suche nach einem Manager gemacht, der gewillt ist, das umzusetzen, was ich im Kopf habe. Für mich kam eigentlich nur Four Music in Frage. Es gab kein anderes Label, das meine Sachen bekommen hat. Ich weiß nicht mal, ob die Platte raus gekommen wäre, hätte Four kein Interesse gehabt. Zwischen Demo-Abgabe und VÖ sind dann wegen der recht aufwendigen Produktion noch mal so 1,5 Jahre vergangen. Ich war ja auch teilweise Produzent der Platte. Es war mir einfach extrem wichtig, dass alles nach meinen Vorstellungen und Bedingungen umgesetzt wird.

Das Demo hatte wie viele Songs? Wurden alle übernommen?

Vier, einer wurde gekickt. Ich habe für die Platte im Studio auch mehr Songs aufgenommen, als drauf passen, damit ich später die Möglichkeit habe, noch einmal auszusortieren. Ich habe z.B. 1-2 Songs, die mir zu hittig waren, wieder runter genommen. Ich wollte keine Songs veröffentlichen, von denen die Leute denken, sie wären extra kommerziell produziert worden, würde sich am Zeitgeist orientieren oder einem Trend folgen. „Herz auf Beat“ ist ein gutes Beispiel. Der Song ist mit seinem Four-to-the-Floor-Style ca. 6 Jahre alt. Aktuell ist eher dieses leicht housige mit deutscher Lyrik populär. „Herz auf Beat“ ist aber viel älter als alles was es in der Form vorher gab. Da dachte ich auch, geil, jetzt komm ich genau zu dem Zeitpunkt damit raus. Dabei habe ich nichts mit Glasperlenspiel oder irgendwelchen Deutschpop-Remixen oder Housekram zu tun. Ich wollte einfach ein bisschen was tanzbares, deutsche, etwas was neu ist, probieren. Damals war es neu, heute wirkt es so, als wäre es kalkuliert. Zwei, drei andere Songs, bei denen das ähnlich war, habe ich runter genommen.

Du bist vor drei Jahren nach Berlin gezogen? Wegen der Musik?

Ich bin auch wegen der Liebe nach Berlin gegangen, aber es ist schon so, dass auch mein Musikverlag hier ist, mein Label, die meisten Musik-Sessions finden hier statt. Außerdem habe ich Hamburg auch ein bisschen über gehabt. Dort gibt es so viele talentierte Leute, die keine Chance bekommen, weil die Hamburger Musikförderung extrem schwach ist. Bis aufs Reeperbahn Festival und vereinzelte kleine Institutionen, ist es dort wirklich schwieriger etwas auf die Beine zu stellen. Wen gibt es denn auch in jüngster Zeit aus Hamburg? Wer hat es da geschafft? 187 im Rap-Bereich vielleicht. Und sonst halt die ganzen großen, alten Namen.

Du bist gelernter Medienkaufmann. Arbeitest du noch in diesem Beruf oder lebst du allein von der Musik?

Nee, also die Ausbildung habe ich nur gemacht, um erstens Kohle und etwas in der Tasche zu haben, eine Art Sicherheit, auf die ich mich letztendlich aber gar nicht verlassen kann, weil ich den Job nicht machen möchte. Und zweitens, wollte ich mir das Hintergrundwissen darüber aneignen, wie eine Album-VÖ vonstatten laufen würde und wo dabei welcher Euro landet. Ich kann im Prinzip alles selbst machen. Egal ob filmen, fotografieren, die Grafik oder Texte. Wie gut, weiß ich nicht, aber theoretisch, inhaltlich könnte ich sagen, dass ich die CD von Null bis sie im Laden steht alleine machen könnte. Das im Hinterkopf zu haben, ist schon gut, das war mir wichtig.

Wie sieht ein normaler Tag für dich aus?

Es gibt keinen normalen Tag, das mag ich so an dem, was ich mache. Aber ich kann dir sagen, wie der Tag gestern war. Ich war bis 5 Uhr wach und habe geschrieben. Nachts, wenn es still ist, habe ich den größten kreativen Output. Die Ablenkungen sind dann einfach nicht so groß. Wenn du im Sommer an die Alster gehst, sind da zehntausend Leute unterwegs. Klassisches Schaulaufen. Die Louis Vuitton Tasche ausführen oder joggen gehen, obwohl das Wort Joggen gar nicht passt, denn man will dabei ja gut aussehen. Singlemarkt und Show-off in einem. Nachts ist das anders. Da bin ich Runden um die Alster gegangen und es war kein Mensch da.

Bist du dann auch so pseudo-gejoggt? (lacht)

Genau, mit meiner Louis Vuitton Tasche am Arm und habe gedacht, ey, schade, das die jetzt niemand sieht. (lacht) Nee, aber das ist der Unterschied. Ich kann dann selbst in der Großstadt das Gefühl haben, runter zu kommen, Ruhe zu haben und meinem Kopf freien Lauf zu lassen. Auch ist das die perfekte Zeit um Sachen, die oben immer rein kommen, wieder raus zu lassen. Aus Langeweile entsteht dann quasi das die Sachen anfangen zu fließen. Output statt Input.

In den meisten deiner Songs geht es um die Liebe. Sind Frauen die schönste Nebensache der Welt?

Frauen sind die schönste Hauptsache der Welt! Das kann doch gar keine Nebensache sein.

Und was kommt dann an zweiter Stelle?

Das steht alles mehr oder weniger auf einer Stufe. Ich habe es einfach nicht so mit Schubladen und Positionen. Das Leben hat ja eine Bewegung. In dem einen Moment ist die Familie wichtiger, weil etwas passiert ist oder man sich lange nicht gesehen hat, also fährt man für zwei Wochen nach Hause und lässt die Liebe für diese Zeit im Stich. Und in einem anderen Moment ist die Liebe an wichtigster Stelle. Aber das wechselt bei mir halt immer je nach dem was mein Herz oder meine Seele gerade braucht.

In „Ich fahr“ singst du davon, die ganze Stadt mit dem Namen eines Mädchens zu tätowieren. Hast du so etwas schon mal gemacht?

Nee, aber meine Art der Tätowierung ist ja auch die Musik.

Sind manche Songs konkreten Frauen gewidmet?

In meinen Songs geht es oft um verschiedene Frauen. Bei „Fabienne“ zum Beispiel, geht es um das Run-away-Girl, das generell ein großes Thema auf der Platte ist. Auch in „Walkman & Anlauf“ und „Liebe Liebe“ geht es um`s lieben. Das Verschließen vor oder Zulassen und Zurückgeben von Liebe, was alles Schmerz bedeuten kann. Der Schmale Grad zwischen dem was man bekommt und was man gibt und was das mit einem machen könnte.

Von diesen Mädchen, die vor sich selbst oder ihrer Bestimmung oder den Problemen, die sie bewältigen müssen, um damit abschließen zu können, davon rennen, habe ich schon mehrere kennengelernt. So etwas zieht man selbst ja auch immer ein bisschen an.

Von diesem Mädchen wirst du in Berlin jetzt wahrscheinlich noch mehr von kennenlernen. (lacht)

Nee, ich halte mich fern. Das was ich erlebt habe, reicht auch noch für die nächsten zehn Jahre. Aber insgesamt beziehe ich mich auf dem Album auf so 3-4 Mädchen. Manchmal geht es in der einen Strophe, um die eine, wie z.B. in „Schmerzfrei“, wo ich mich über ein Mädchen auskotze, die immer laut geworden ist, wenn sie nicht bekommen hat, was sie wollte. Und in der nächsten um eine, die ich erst drei Jahre später kennengelernt habe. So entwickeln sich Songs über Jahre.

In „Herz auf den Beat“ gibt es ein Mia-Sample. Kennt ihr euch? Hast du Mietze den Song mal vorgespielt?

Leider nein. Es gab mal die Idee, dass sie vorbei kommt und das noch einmal einsingt. Aber ich wollte unbedingt die zwanzigjährige, rotzfreche Punkattitüde von ihr. Das würde heute vielleicht nicht mehr so klingen wie damals. Ich habe die Band getroffen und nach dem Sample gefragt und die waren so: ist cool, nimm! Witzigerweise ist einer meiner besten Freunde, Georg auf Lieder, gerade mit ihr auf Tour. Kann schon sein, dass er wiederkommt und mir erzählt, dass sie es gehört hat. Mal sehen. Ich habe keine Ahnung, wie sie es findet. Ich hätte auf jeden Fall Bock, mal mit ihr auf der Bühne zu stehen.

Ich habe mich oft gefragt, ob Leute die schreiben, auch automatisch viel und gerne lesen. Wie ist das bei dir?

Eher nicht so. Ich nehme meine Inspiration komplett aus dem Leben. Es gibt hundertprozentig Einflüsse, davon ist ja keiner frei, aber das meiste entsteht schon aus dem Slang, wie man mit Freunden redet. Ich habe früher gerappt. Das ist dann Teil der Technik oder wie meine Reimstrukturen sind. Das ist eine Mischung aus ganz verschiedenen Sachen. Ich habe als Kind ganz viel Michael Jackson gehört, dann kam Prince dazu. Auf deutscher Seite Rio Reiser, Falco und solche Sachen. Es folgte die Rap-Phase. Die Mischung besteht also aus diesen drei Eckpfeilern. Wenn ich lauter singe, habe ich immer ein bisschen dieses „ich-kann-eigentlich-nicht-singen-aber-kann-es-gerade-noch-so-gut-das-es-irgendwie-geht“-Rio Reiser Ding. Meine abstrakten Wege eine Geschichte zu erzählen ist vielleicht Falcoesk. Das Verschlucken der Silben ist wiederum ziemlich Michaelmäßig. Und die melodiöse Geschichte kommt zum Teil von Prince. Aber das kann auch alles genau so gut andersrum sein.

Ich wollte meine eigene Sprache haben, deswegen habe ich nie viel gelesen. Bei manchen Künstlern merkt man richtig, dass sie sich viel mit Schiller oder Heine beschäftigt haben und das in ihre Musik adaptieren. Da erkenne ich die Quellen zu schnell. Bei mir ist es wirklich nur mein Umfeld und das Leben und die Sachen, die ich vor 20 Jahren gehört habe.

Mit einem Buch zu Weihnachten würde man dir also keine große Freude machen.

Na, das Einzige, was ich lese, sind Künstlerbiographien. Die liebe ich. Davon habe ich bestimmt 30 oder 40 gelesen. Das beeinflusst meine Sprache halt auch Null.

Noch mehr als gelesen, habe ich aber an Dokus geguckt. Sicher an die 300. Da gibt es eigentlich nichts, was in Richtung Musikdoku oder Biographie geht, was ich nicht gesehen habe. Ich habe mir sogar die Anthology der Beatles, die ca. 11 Stunden geht, sicher 5x angeschaut. Das fasziniert mich einfach so krass. (lacht)

Unterschiedliche Menschen haben eben unterschiedliche Interessen. Meins wäre das nicht. (lacht) Gibt es einen Künstler in Deutschland, mit dem du gerne einmal etwas machen würdest?

Also bevor ich jemanden als Feature auf ein Album nehme, muss das einen ganz besonderen Stellenwert für mich haben. Ich habe ein, zwei Namen im Kopf, wo ich versuche, sie auf die nächste Platte zu bekommen. Aber auch auf dem aktuellen Album gibt es in dem Sinne keine Features. Da haben einfach tolle Leute mitgesungen, wie Jenniffer Kae, Georg und MiMi. Aber die werden jetzt nicht als krasses Feature hervorgehoben, damit ich angeben kann. Ihre Namen stehen nur in den Credits.

Ansonsten wäre so jemand wie Farin Urlaub geil. Dann aber auch lieber so, dass er einfach einen Refrain mitsingt, ohne das ich groß seinen Namen dazu schreiben muss. So fühlen sich die Leute eher überrascht und freuen sich. Das ist mir sonst zu viel Namedropping aus Promozwecken.

Die Leute, die mich sonst wirklich interessiert hätten, sind leider alle schon gestorben.

Das Album ist veröffentlicht, die Tour gespielt – was kommt alles Nächstes? Worauf freust du dich?

Ich freue mich, meine Familie an Weihnachten wiederzusehen. Ach und ich freue mich auf die Folge Inas Nacht, wo ich zu Gast war. (Ausstrahlung: 05.12., 23.30 Uhr, ARD) Ich bin gespannt, wie das geworden ist, denn an dem Tag hatte ich eine Lebensmittelvergiftung und weiß von der Performance überhaupt nichts mehr. Nur, das mitten während der Aufnahme etwas von der Decke gefallen ist, die das Ding abbrechen wollten, ich es aber einfach durchgezogen habe, weil ich keine Kraft gehabt hätte, den Song noch einmal zu spielen. Ansonsten werde ich viel arbeiten und Musik machen. Die ganze Zeit.

„August“ ist am 04.09.2015 auf Four Music erschienen. Nisse hat auf facebook angekündigt neue Livedates in Kürze bekannt zu geben.

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Über den Autor

Sophie Krause Die 29jährige zugezogene Brandenburgerin mit Kodderschnauze und Speckgürtel-Dialekt, arbeitet nicht nur an der Fertigstellung ihres Romans, sondern schreibt auch mit großem Vergnügen über die Liebe an und in der Hauptstadt. Musik, Fashion, Party`s, Art - you name it.

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