Dass ich meinen Freitag mit einer Band verbringen würde, mit der ich, um ehrlich zu sein, kein Stück vertraut war, dabei von Festival zu Club und wieder auf die Straße, von Bitterfeld nach Berlin und wieder zurück nach Leipzig kommen würde, das erste Mal in einem waschechten Tourbus unterwegs sein würde und mit einer Menge guter Laune und guter Vibes im Gepäck wieder nach Hause reisen sollte, kam für mich vergangene Woche zugegeben sowohl unverhofft als auch unerwartet. Am Ende dieses kleinen Trips standen gute 15 Stunden exquisit verlebter Zeit zu Buche, was nicht zuletzt auf das Konto der beiden reizenden Damen geht, um die sich dieser Beitrag hier dreht.
Doch zurück auf Anfang: Ich wurde gefragt, ob ich für meine Kollegin einen Auftrag übernehmen könnte, was ich bejahte, schnurstracks war die Connection aufgebaut, worum es denn eigentlich gehen sollte. Das erste Fragezeichen für mich: Chefboss? Sollte man die kennen? (Spoiler: Ja, man sollte.) Nachdem die Einzelheiten geklärt waren und der Ablauf des Freitages grob feststand, sah ich mich an einem Scheideweg: Komplett blank den Tag mit den beiden – obwohl „die beiden“ hier immer für die gesamte Crew aus Chefboss, ihren Tänzerinnen, Choreografin, Manager etc. steht und gute 15 Leute umfasste – verleben und mit Mut zur Lücke eine Art „Clueless Kili“ produzieren, oder mich tief in die Materie einarbeiten, spezifische Fragen zu spezifischen Textzeilen produzieren, Horizont und Rezeption der Musik erforschen et cetera perge perge. Was also tun? Die Wirklichkeit beschied mir dann einen angenehmen Mittelweg: Komplett ohne Vorinformation eine Band einen Tag lang begleiten reizte mich zwar durchaus, doch sei es aus journalistischer Ethik oder mangelnder Souveränität, ich konnte es nicht. Nur mit dem Namen Chefboss und der Tatsache, dass das eine Band ist, auf dem Sputnik Springbreak an der Halbinsel Pouch bei Bitterfeld aufzutauchen, ohne zu wissen, dass mich zwei energiegeladene Ladies mit dicken Bässen im Gepäck und nicht etwa vier zarte Skinny-Jeans-Indie-Jünglinge erwarten würden und darüber hinaus natürlich auch ihre Reaktionen nicht einschätzen zu können, war mir dann doch einen Ticken zu gewagt. Naja, das nächste Mal.
Dankbarerweise haben das Duo Chefoss, welches übrigens aus Emcee Alice Martin und Tänzerin Maike Mohr besteht, ihren bisher rapide ansteigenden Erfolg und Bekanntheitsgrad einer verhältnismäßig kleinen Diskografie zu verdanken. Lediglich eine EP und eine Single bilden den Katalog der beiden Hamburgerinnen – was mir das Leben ein bisschen leichter machte. Nach kurzer, intensiver Musikrecherche der beiden fiel mir als erste Referenz sofort Major Lazer ein: Sound, Intensität, Choreografie, Tanz-Elemente, allgemeine Turn-Up-Affinität, die Ähnlichkeit ist da! „Wir sind in ähnlichen Gewässern unterwegs, auf jeden Fall“, antwortete mir Alice in einer ruhigen Minute, bei deren Musik auch Erinnerungen an Seeed wach werden, nur in neu, nur in anders. Viele Karibik- und Dancehall-Einflüsse, dicke Bässe, Produktion von Musik und Videos aus einer Hand und der ausdrucksstarke, vom Voguing beeinflusste Tanz von Maike und ihren Tänzerinnen sorgen für ein stimmiges Gesamtbild fernab von irgendwelchen Vorlagen. Wer sich davon ad hoc überzeugen will – bitteschön! Hier das neue Dance Video zur neuen Chefboss-Single „Zombie Apokalypse“:
Aber zurück zum Freitag: Nachdem ich mich in der sächsischen Sonne von Leipzig nach Bitterfeld organisiert hatte, in einem nur von mir und dem Fahrer besetzten Linienbus nach Pouch gekommen war und mich unter massivem Fluchen auf die digitale Infrastruktur Sachsen-Anhalts endlich mit meiner Kontaktperson in Verbindung gesetzt hatte, ging es für mich und die Damen in den Jägermeister Platzhirsch: Ein beeindruckender, extrem cool konzipierter Hirsch aus Holz und Metall, Bar und mehreren Floors, der als Kirsche auf der Sahne auch noch Feuer aus seinem Geweih ballern kann – kann man mal machen.
Das Kennenlernen mit Maike und Alice war extrem angenehm, auch wenn die Anspannung vor dem Opening-Gig auf dem Springbreak beiden durchaus anzumerken war. Im Anschluss an kurze Entspannung im Backstage-Bereich inklusive Umziehen und Akklimatisieren, ging es für uns zum Soundcheck auf die Mainstage des Sputnik Springbreak, von der der Ausblick auf das noch menschenleere Festivalgelände (Stichwort: Ruhe vor dem Sturm) nicht nur für mich ein echter Wow-Moment war (von den tatsächlichen Dimensionen der Bühne könnt ihr euch im YouTube-Video unten überzeugen):
Mein natürlich nur durch die morgendliche Suche nach der Musik der beiden definierter Erwartungshorizont wurde durch den Auftritt der beiden um 20 Uhr definitiv nicht enttäuscht: Die Festival-Crowd war heiß, die Mädels sowieso, die Bühnenshow war perfekt geplant, das Wetter hat gepasst, alles in allem war die Atmosphäre für den ersten Abend eines Festivals optimal. Das Publikum hatte sichtlich Bock und sichtlich Spaß, voller Körpereinsatz war garantiert und allen Involvierten auf, hinter und vor der Bühne war die gute Laune während und nach der Show unweigerlich anzumerken.
Doch Tourlife ist Tourlife und Pausen sind rar gesät, also ging es wieder zurück in den Jägermeister Platzhirsch, wo sich schon die nächsten Fans und Feierwütigen zum abendlichen Eskalieren versammelt hatten. Und Eskalation ist definitiv das richtige Stichwort (sorry for Kartoffelaudio):
Im Anschluss wurde deutlich, wieviel Nervosität und Anspannung von allen Beteiligten abgefallen ist, als man die ersten beiden von drei Gigs an diesem Tag (und auch mit Abstand den größten) erfolgreich hinter sich gebracht hatte und man sich guten Gewissens dem Backstage- und Tourbusalltag widmen konnte. Das Grinsen wurde breiter, die Atmosphäre wurde gelassener, die Flaschen und Gläser klirrten und ein unglaublich gediegen verlebter Trip im Tourbus ins Berliner Astra nahm seinen Anfang. Die Gespräche wurden ein wenig tiefsinniger und ich bekam einen Einblick in die Menschen hinter der Bühnenshow. Die Mädels, die sich bereits seit acht oder neun Jahren kennen und seit etwa zweieinhalb Jahren gemeinsam Musik machen, wurden nicht müde zu betonen, wie surreal die Verwirklichung dieses kleinen Träumchens für beide doch ist. Besonders Maikes Mundwinkel wurden immer breiter, als sie mir von ihren Gefühlen und Erfahrungen mit einem Majorlabel, echtem Nightliner, großen Shows und Marketingmaschinerie im Rücken berichtete. Kein Wunder: Chefboss spielen in diesem Sommer wirklich ausnahmslos bei jedem deutschen Festival, das Rang und Namen hat – wer die Möglichkeit hat, solle sich den Abriss mit den Damen nicht entgehen lassen.
Rock am Ring, 03. -05.6.2016
Rock im Park, 03. -05.6.2016
Hurricane Warm up, 23.06.2016
Helene Beach Festival, 29.07.2016
SonneMondSterne, 12.08.2016
Frequency Festival, 18. – 20.08.2016
Chiemsee Reagge, 25.08.2016
Auch die Meute im Berliner Astra bei „Straight Outta Berlin“ hatte sichtlich Bock auf Abriss und der Applaus des Publikums gab auch Chefboss an diesem Abend absolut Recht. Der Begleiter der Chefbosse bei ihrer JägerMusic Clubtour, Dan Gerous, der auch schon die Fahrt im Tourbus mit satten Tunes ordentlich nach vorne gebracht hatte – s/o an dieser Stelle – erledigte dann den Rest. Gegen vier Uhr morgens machten wir uns mit dem Nightliner wieder auf den Weg und nach anstrengenden 15 Stunden ging für mich und uns irgendwo auf der Autobahn in der Nähe von Leipzig ein extrem ereignis- und erfahrungsreicher Tag zu Ende.
Doch was bleibt davon? Mit einigen Tagen Abstand kann ich sagen, dass ich eine wirklich wirklich gute Zeit mit der ganzen Truppe hatte. Auch wenn ich logischerweise als eine Art Fremdkörper in eine schon seit mehreren Tagen gemeinsam unterwegs seiende Crew gestoßen bin, wurde ich warm willkommen geheißen und hatte interessante Gespräche, viel Gelächter und schöne Begegnungen mit verschiedensten Menschen und Persönlichkeiten. Obgleich musikalisch objektiv betrachtet nicht mein Fall, so wussten mich Chefboss dennoch zu überzeugen und besonders die Kombination des Auditiven und Visuellen aus den beiden auf den ersten Blick recht ungleich wirkenden Teilen von Chefboss hat definitiv Eindruck hinterlassen. Was hat Chefboss, was andere nicht haben? „Also das größte Unterscheidungsmerkmal ist der Tanz, was sehr speziell ist – und dass man dazu so sehr abgehen kann“ lachte mir Maike am Ende unseres gemeinsamen schönen, aber anstrengenden Tages entgegen. Kann ich so unterschreiben.
Vielen lieben Dank an Alice, Maike, Ponx und den Rest von der Chefboss-Bande sowie an Jägermeister, it was a blast!